Musik über eigene Musik – Eigenparodien in der frühneuzeitlichen Messe

Träger: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Laufzeit: 2023–2026

Nach der bereits im Mittelalter etablierten Praxis, mehrstimmige Vertonungen für die Messliturgie aus einstimmigen Chorälen oder freien Modellen zu entwickeln, lässt sich ab der Mitte des 15. Jahrhunderts ein auffälliger Trend hin zu Messkompositionen beobachten, die als musikalische Materialbasis auf mehrstimmige Vorlagen geistlicher wie weltlicher Provenienz rekurrieren. Diese Parodie- bzw. Imitationsmessen wurden im Verlauf des 16. Jahrhunderts zu einem epochalen Phänomen der frühen Neuzeit, dessen systematische musikwissenschaftliche Untersuchung und kulturhistorische Kontextualisierung bis heute nur punktuell und zumeist mit Blick auf das Schaffen einzelner Komponisten erfolgt ist. Neben einer breitangelegten vergleichenden Betrachtung der kompositionstechnischen Methoden musikalischen Parodierens stellt die Erhebung und Auswertung jener Messzyklen, in denen Komponisten nicht auf externe Vorlagen, sondern auf polyphone Modelle aus ihrem eigenen Œuvre zurückgreifen, ein besonderes Desiderat der Forschung dar. Diese sogenannten Eigenparodien bilden den zentralen Untersuchungsgegenstand, dem sich das Projekt anhand eines rund 130 Messen umfassenden Korpus aus verschiedenen Perspektiven annimmt.

Im Fokus der werkanalytischen Betrachtungen steht hierbei etwa die Frage, welche textlichen und musikalischen Kriterien der Vorlagenwerke einen Komponisten veranlasst haben mögen, ebendiese für die Ausgestaltung eines Messordinariums heranzuziehen. Ferner gilt es zu eruieren, ob es jenseits einer Reihe bereits bekannter Praktiken des musikalischen Parodierens bislang noch nicht als solche identifizierte wiederkehrende Strategien gab, mithilfe derer die Komponisten musikalisches Material aus ihren Vorlagen in die Struktur der Ordinariumssätze integrierten. Schließlich wird auch zu untersuchen sein, wie sich der Einbezug von präexistenter Musik auf die Faktur der vermeintlich vorlagenfreien Abschnitte in den Messkompositionen auswirkt.

Aus kulturhistorischer Perspektive und vor dem Hintergrund einer stetig zunehmenden Mobilität der musikalischen Akteure und einer lebhaften Zirkulation des Repertoires im 16. Jahrhundert sind die Entstehungs- und Aufführungsbedingungen der Messen sowie die Kontexte ihrer Rezeption von zentraler Bedeutung. Wie wirkten sich etwa unterschiedliche konfessionelle und institutionelle Rahmenbedingungen auf die musikalische Gestaltung der Ordinarien aus? Inwiefern können einerseits schlicht arbeitsökonomische Beweggründe den rasanten Aufstieg der Gattung Parodiemesse befeuert haben, inwieweit lassen die Messkompositionen andererseits durch die Verwendung bekannter und zumal eigener musikalischer Materialien auch das Bestreben ihrer Komponisten erkennen, der Musik ein identifikationsstiftendes Moment einzuschreiben?

Um die Dimensionen eines solchen produktiven Umgangs mit eigenen wie fremden Materialien nicht nur als musikalische, sondern mit dem Blick auf andere Künste und Wissenschaften der frühen Neuzeit auch als epochenprägende kulturelle Praxis einordnen zu können, werden zu seiner Kontextualisierung interdisziplinäre Ansätze aus Kunst- und Literaturwissenschaft fruchtbar gemacht.

Die Projektleitung hat Prof. Dr. Christiane Wiesenfeldt inne, wissenschaftlicher Mitarbeiter ist Dr. Marcel Klinke. Das Forschungsprojekt wird in enger Kooperation mit CRIM: The Renaissance Imitation Mass Project (Haverford College, Philadelphia, Centre d’Études Supérieures de la Renaissance, Tours) durchgeführt.

Projektlaufzeit: November 2023 bis Oktober 2026

Kontakt: marcel.klinke@zegk.uni-heidelberg.de